Quelle: Spiegel Online
Von Frank Hellmann
Er rettete Werder vor dem Abstieg, machte den Verein zum Meister, Pokalsieger, Spitzenclub. Jetzt muss Thomas Schaaf gehen, nach einer Ewigkeit in Bremen, fallengelassen von Männern, die ihn Jahrzehnte gefördert und gestützt hatten. Die Geschichte einer erkalteten Liebe.
Als Thomas Schaaf am 10. Mai 1999 zu seiner ersten Trainingseinheit auf dem weitläufigen Areal am Bremer Osterdeich schritt, blitzte ein verschmitztes Lächeln unter dem Schnauzbart auf. Es surrte eine einzige Kamera, von Radio Bremen. Einige wenige Journalisten nickten dem Trainer freundlich zu, nicht jeder davon besaß damals schon ein Handy. Der SV Werder schwebte in höchster Abstiegsgefahr und hatte als Reaktion auf die Misere seinen Amateurcoach zum Cheftrainer befördert. Und der tat an seinem ersten Tag das, was er immer getan hatte: Er stellte Hütchen auf den Rasen, ehe er Spieler wie Pawel Wojtala und Andree Wiedener, Rade Bogdanovic und Marco Bode, Torsten Frings und Andreas Herzog zum lockeren Kreisspielchen bat.
Der Auftrag war heikel: Schon am nächsten Tag stand das Abstiegsendspiel gegen Schalke an. Und der neue Coach zeigte Wirkung, plötzlich spielte Werder wieder mit Herz und Leidenschaft, auch wenn zunächst kein Tor fiel. Zur Halbzeit wechselte Schaaf den alten Dieter Eilts aus und den jungen Christoph Dabrowski ein. Der köpfte keine zehn Minuten später das 1:0. Der Klassenerhalt gelang. Einen Monat später gewann Werder den DFB-Pokal.
"Werder ist halt etwas Besonderes"
Diese Geschichte ist wichtig, um zu verstehen, warum der Verein und die Stadt Thomas Schaaf so lange den Rücken stärkten. Oder wie Schaaf wenige Tage vor seinem 52. Geburtstag sagte: "Werder ist halt etwas Besonderes, und die handelnden Personen sind es auch." Doch nun haben sie ihm das Vertrauen entzogen: Nach der Verkündung durch die Geschäftsführung am Dienstagabend erschien Schaaf am Mittwoch weder zur Pressekonferenz noch setzt er sich am Samstag beim letzten Saisonspiel auf die Trainerbank. Seinen Job übernehmen vorerst die Co-Trainer Wolfgang Rolff und Matthias Hönerbach - beides enge Schaaf-Vertraute. Der Chef ist bereits fort: eine kurze Verabschiedung am Mittwochmorgen von den Spielern, das war es.
Es ist eine schmutzige Scheidung - keine im beiderseitigen Einvernehmen, wie der Verein Glauben machen will. Vor allem Vereinspräsident Klaus-Dieter Fischer, starke Stimme in der Geschäftsführung, soll den Daumen gesenkt haben. Der 72-Jährige hat seit Jahrzehnten zu Schaaf gehalten, schließlich wies er dem Spieler einst den Weg zum Trainer, als er ihm eine Gehaltserhöhung um wenige hundert Mark im Monat nur mit der Auflage bewilligte, sich in der Jugendarbeit zu verdingen.
Dauergast in der Champions League
Auch Willi Lemke hat Schaaf immer die Treue gehalten, doch der Aufsichtsrat stellte eben auch Fragen, warum aus gutbezahlten Spielern in jüngerer Vergangenheit keine funktionierende Mannschaft wurde. Der Turnaround wurde ihm nicht mehr zugetraut - ungeachtet seiner Verdienste. Schaaf ist in Bremen zu einer Institution geworden wie der Roland oder die Stadtmusikanten. Anfangs taten sich die Grün-Weißen zwar schwer, der grauen Masse zu entfliehen, doch schon früh war zu besichtigen, was Schaafs Idee vom Spiel der Bremer war: Aktion statt Reaktion, Angriff statt Verteidigung. Er führte bei den Amateuren in der Regionalliga eine Viererkette ein, als die Bundesliga noch mit Libero spielte. Er setzte auf Sturm und Drang, Unterhaltung für den zahlenden Zuschauer war sein oberstes Credo. Als Klaus Allofs den genialen Spielmacher Johan Micoud aus Frankreich an die Weser lockte, gelang der Durchbruch. Seit dem sensationellen Double 2004 war Werder jahrelang Bundesliga-Spitze und bis 2010 Dauergast in der Champions League. Schaaf galt als Zauberer, weil er im Zusammenspiel mit seinem kongenialen Weggefährten Klaus Allofs immer wieder Stars wie Diego oder Mesut Özil entwickelte.
Back to Brinkum
Doch die Kritik wurde lauter, langsam aber stetig, und die Kritik ging oft so: Schaafs Ansagen, seine Ausstrahlung, seine Art der Mannschaftsführung seien nicht mehr zeitgemäß. Seine Distanz zum Mediengeschäft wurde gleichzeitig größer, er schottete sich ab, weil Werder mittlerweile drei Jahre in Folge den internationalen Plätzen hinterherhechelte. In dieser Saison erfand sich Schaaf noch einmal neu; gab sich aufgeschlossener, führte im Wintertrainingslager im türkischen Belek sogar Fans und Journalisten durch das Mannschaftshotel. Und doch konnte er nicht genug Mitstreiter mitnehmen.
Schaaf wird sich vorerst nach Brinkum zurückziehen. Dort bewohnt er mit Ehefrau Astrid noch denselben Bungalow, in dem er schon als Spieler zu Hause war. Und noch etwas ist seit damals unverändert geblieben: seine Handynummer. Enge Freunde wie der Nachbar und Jugendtrainer Bernd Pfeifer, seine Tochter Valeska oder Hobbys wie das Radfahren - für all das hat Schaaf jetzt erstmal Zeit. Auch der Schnauzbart wird wohl dranbleiben. Auch wenn man ihn darunter lange nicht mehr hat lächeln sehen.