Schöne Bescherung: Feiern darf nur Werder
Von TONI SCHUMACHER
Wer sich aus dem Fenster lehnt, kann auch schon mal rausfallen und abstürzen…letzte Woche war ich mir noch sicher: Bayer Leverkusen gewinnt in Bremen und gehört wieder zum Kreis der absoluten Spitzenklubs in Deutschland. Weil man einen Torwart der Zukunft hat. Nix war's mit meiner Prognose, meinem Bauch-Gefühl.
Leverkusen wurde von Werder ganz schön vermöbelt, Adler ist verletzt, drei Wochen Pause. Stattdessen habe ich den wahren Herbst- oder Wintermeister gesehen: Werder Bremen. Punktgleich mit den Millionen-Bayern, 1 Sieg mehr auf dem Erfolgskonto, 11 Tore mehr geschossen als der Mega-Sturm aus München.
An der Weser wird seit Jahren konstant gearbeitet. Erfolgreich. Mit Augenmaß und Ruhe. Rückschläge wie das Champions-League-Aus werden nicht zum internen Desaster. Die Mannschaft antwortet auf krisen-ähnliche Niederlagen stets direkt. Mit Kampf, Spielkunst, Toren und Siegen.
Irgendwie habe ich den Eindruck: Werder ist das wirkliche Fußball-Modell der Liga. Nicht seit dem 5:2 über Leverkusen, eigentlich schon immer, schon seit Otto Rehhagel. Trainer Thomas Schaaf kann seine Fußball-Philosophie leben und arbeiten, ohne dass Momentaufnahmen seine Planung, sein Ansehen gefährden, ihm das Vertrauen entzogen wird, nur weil mal ein paar Wochen Sand im Spielgetriebe ist.
Unterstützt von meinem ehemaligen Mannschaftskameraden Klaus Allofs als Manager. Der holt immer einen Superstar, den keiner kennt, keiner auf dem Zettel hat. Vor Jahren Claudio Pizarro und Ailton, dann Johan Micoud und Valerien Ismael, jetzt Diego.
Das System Werder funktioniert perfekt. Es wird akribisch gewirtschaftet, fanatisch gearbeitet und Menschlichkeit gelebt. Deshalb gibt es ein kleines Fußball-Wunder wie Ivan Klasnic auch nur in Bremen. Trotz vieler Rückschläge, trotz Ärzte-Stress. Klasnic wurde nie fallen gelassen, gab sich selbst nie auf und hat den Weg zurückgefunden - ein echtes Weihnachtsmärchen.
Dafür brennt bei Bayern der Christbaum! Auch wenn Uli Hoeneß nach dem fünften Torlos-Unentschieden in der Hinrunde auf Versöhnungskurs mit sich selbst und seinem Klub ging: "Wir sollten auch mal zufrieden sein." Dabei sah mein Freund Uli aber so grimmig aus, als ob er mit seinem Erzfeind Willi Lemke Heiligabend verbringen müsste…mein Eindruck: Die Bayern-Bosse halten den selbst aufgebauten Druck, den sie mit den Millionen-Transfers entwickelt haben, diesmal als erste nicht aus. Nicht die Spieler, die Führungs-Mannschaft verliert die Nerven. Mit der Brechstange wollten sie die Liga verprügeln, schocken und auf Distanz gehen, nur die Großen des internationalen Fußballs als Messlatte vor Augen: Real, Milan, Barca, ManU.
Die adventliche Bestandsaufnahme: Werder ist in allen Belangen auf Augenhöhe, die Meisterschaft wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bei Werder erkenne ich eine ganze Reihe von Charakteren, die Meister "werdern" wollen. Uli Hoeneß kann schon mal seinen Wunschzettel schreiben, Klaus Allofs hat sicher schon wieder Nachfolger parat.